Blog

Es gibt keine Lösungen – aber Alternativen

Jeannie Schneider
20.11.2025

Vor zwei Wochen nahm ich an einer Veranstaltung mit dem Titel «Rewriting Democracies» des Eidgenössischen Departement für Auswärtiges teil. Im Zentrum stand die Frage, wie man die grundsätzlichen mentalen Modelle, die unsere Wahrnehmung prägen, verändern kann. Das hat mich dazu gebracht auch mal ein mentales Modell genauer unter die Lupe zu nehmen, das unser Verständnis von Technologie und Zukunft prägt, nämlich: Tech will solve it.

Share Article

Die Probleme der Gegenwart häufen sich. Gedanklich oszilliere ich immer wieder zwischen einer androhenden Untergangsstimmung und der Einschätzung, dass ja angeblich jede Generation das Gefühl hat, ihre sei besonders dem Zerfall gewidmet.

Doch seit ich mich im Sommer vor zwei Jahren für ein Projekt durch Klimadaten gegraben habe, meide ich auch Dampfbäder, da sie mich an die Bulb Temperature erinnern, die in Kim Stanley Robinsons Ministry of the Future die Eröffnungszene bildet. Niemals werde ich diese aus meinem Gedächtnis löschen können.

Die sogenannte «Bulb Temperature» beschreibt die Kombination aus Hitze und Luftfeuchtigkeit, bei der der menschliche Körper nicht mehr in der Lage ist, sich durch Schwitzen abzukühlen. In diesem Zustand bleibt nichts anderes übrig, als innerlich zu überhitzen, man beginnt von innen zu kochen. Auch unser Gewebe kann wie ein Pouletbrüstli dampfgegart werden. Eine Situation die in gewissen Klimazonen bald Realität werden könnte.

Kurz gesagt: Es scheint, dass wir uns doch irgendwie in einer besonders wegweisenden Zeit befinden und grundsätzlich etwas verändert werden muss. Deswegen nahm ich die Einladung vom EDA an, weil ich neugierig war, wie das EDA die Demokratie neu schreiben möchte.

Josh Lerner und Greta Ríos vom Projekt People Powered stellten uns dann die Waters Theory of Change vor. Das umgedrehte Dreieck zeigt an der Spitze die mentalen Modelle, die hinterfragt werden müssen, um tiefgreifende gesellschaftliche Veränderung hervorzurufen.

Screenshot 2025 10 28 at 14 12 08

Sechs Bedingungen für Systemwandel

Abbildung aus Kania, J., Kramer, M., & Senge, P. (2018). The Water of Systems Change.

Veränderung: Die Frage ist nicht ob, sondern wie

Im Dezentrum beschäftige ich mich mit der Frage nach gesellschaftlicher Veränderung durch Technologie. Gerade in diesem Bereich merke ich immer wieder, wie dominant ein bestimmtes «mentales Modell» in unserem Denken verankert ist: Technologie ist die Lösung. Und in diesem Blog möchte ich die Behauptung aufstellen, das wir für wirklichen Systemwandel eben dieses Modell hinterfragen müssen.

Dieser Glaubenssatz zeigt sich zum Beispiel in der Vorstellung, dass Staubsauger CO₂ aus der Luft filtern, KIs die nächsten Extremwetterereignisse vorhersagen oder Apps Armut durch Mikro-Crowdfunding bekämpfen können.

Wenn wir uns diese «Lösungen» genauer betrachten wird deutlich, dass es am Ende alles Geschäftsmodelle sind, deren Businessmodell auf der Aufrechterhaltung des Problems beruhen. Das CO₂ in der Luft ist die Existenzgrundlage des Filtersystems, die strukturelle Ungleichheit die Variable, welche die App als Bedingung annimmt.

Auch wenn angesichts der Realität der Klimakrise Massnahmen wie Filterung von Luft, Boden und Gewässer wahrscheinlich unabdingbar sind, lösen sie nicht das Problem von Gesellschaften, deren Wirtschaftssystem darauf basiert, immer mehr fossile Brennstoffe in die Luft pumpen.

Und hier wird deutlich, dass wir es nicht mit einem, sondern mit zwei ineinander verschränkten mentalen Modellen zu tun haben: Zum einen mit einem Wirtschaftssystem, das ziemlich kausal auf fossilen Energien beruht und zum anderen mit der Vorstellung, dass es möglich sei, Probleme mit ressourcenintensiver Technologie abzufedern oder gar rückgängig zu machen.

So entstehen paradoxe Lösungen: Neue Rechenzentren für KIs, die uns vor Extremwetterereignissen warnen sollen, verbrauchen selbst so viel Elektrizität wie ganze Städte.

Hier zeigt sich, wie wichtig es ist, nicht nur über Ansätze nachzudenken, die eine Lösung innerhalb des gleichen Referenzrahmens bieten. Wie schwierig das ist, merke ich jedes Semester aufs neue, wenn ich an der Hochschule Luzern meine Gastvorlesung über gesellschaftliche Zukünfte halte.

Screenshot 2025 11 17 at 08 59 51

Postkarten aus der Vergangenheit

Jean-Marc Côté, En L'An 2000, um 1900

Die Zukunft der Vergangenheit

Ich führe zum Beispiel immer die Postkarten ein, in denen sich Jean-Marc Coté an der Weltausstellung 1900 das Jahr 2000 vorstellt. Dort sieht man Schulklassen, nur Jungs, die via Kopfhörern Bücher aus dem Fleischwolf aufnehmen. Oder eine weibliche Putzhilfe, standardgemäss in schwarzem Kleid mit weisser Schürze, die mithilfe eines elektrischen Besen das bürgerliche Wohnzimmer putzt.

Schon im Jahr 1900 war es also einfacher sich vorzustellen, dass ein elektrischer Besen existiert, als dass der Haushalt gemeinsam geputzt wird. Geschweige denn, dass Mädchen auf der Schulbank sitzen.

Wenn ich nun diese Postkarten mit ChatGPT aktualisieren lasse sehen wir: Auch im Jahr 2100 ist die Techno-Zukunft ein Haushaltsroboter und eine müde Hausfrau, die die Wäsche macht. Im Unterricht sitzen zwar Mädchen, aber wie um 1900 noch immer frontal, wir sehen kein gemeinsames Spiel, alles ist im kühlen Halogenlampenlicht der «Zukunft» getaucht.

Screenshot 2025 11 17 at 08 59 59

Postkarten aus der Zukunft

ChatGPT Prompts: can you make a picture of switzerland in 2124 / draw me an image of the school of switzerland in 2124 / draw an image of housework in the year 2124? /  draw me an image of agriculture in the year 2124 in switzerland

Zukünfte statt Zukunft

Und ironischerweise, nachdem ich zwei Stunden lang versuche, dieses mentale Modell aufzubrechen, sprechen die Studierenden noch immer von einem Roboter-Butler. Das zeigt, wie tief die Annahme sitzt, das eine wünschenswerte Zukunft einfach eine technologisch-intensivere Gegenwart ist.

Dass hier nicht nur der Status Quo zementiert wird, sondern auch ein Fortschrittsbegriff verwendet wird, der nicht wirklich auf Veränderungen eingehen kann, ist der letzte Punkt, den ich machen will.

Wenn wir die Landwirtschafts-Zukunftsbilder anschauen wird der Punkt klar: Von 1900 bis 2100 ist ein Feld mit Monokultur the way to go. Wasser, das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Jahr 2100 auch in der Schweiz knapp sein wird, wird mit einer Drohne verteilt. Dass angesichts der Fluten und Dürren, der verändernden Klimazonen und Böden, hier eine Veränderung angenommen werden muss, kann die Vorhersage von ChatGPT nicht berücksichtigen.

Ist ein Aufrechterhalten des Status Quos überhaupt fähig, die strukturellen Veränderungen, die auf uns zukommen miteinzubeziehen?

Ich persönlich denke nicht. Wenn wir die strukturellen Veränderungen, die auf uns zukommen ernstnehmen wollen, dann müssen wir anfangen, aufzuhören, die Zukunft als Monolith, der durch die Zeit reist, zu verstehen und in Szenarien denken. Im Dezentrum sprechen wir deswegen immer von Zukünften, statt Zukunft. Dieses Aufbrechen ist zwar zuerst eine Unsicherheit, stärkt aber im Endeffekt doch unsere Handlungsfähigkeit, wenn wir akzeptieren, dass Veränderung passieren wird und wir auf diese zuarbeiten können.

Oft werde ich dann nach alternativen Lösungen gefragt. Aber die ernüchternde Antwort ist, dass eine Lösung die Antwort auf die falsche Frage ist. Es gibt keine Lösung für Systemwandel, denn tiefgreifende Veränderung folgt keiner einfachen Kausalität. Was wir stattdessen tun müssen, ist uns wirklich grundsätzlich zu fragen, was für eine Zukunft wir wollen. Warum ist der Robo-Butler noch immer das beliebtere Zukunftsbild als so wenig Lohnarbeit, das der Haushalt gemütlich gemeinsam geschmissen werden könnte?

Share Article