Wir können uns nicht in eine bessere Zukunft posten
LinkedIn, Instagram und Reddit ziehen mich in einen endlosen Strom dessen, was die Mächtigen sagen und tun. Ich bin der Meinung, dass wir aufhören sollten, gegen die Flut an Desinformation und Schrott auf Social Media selbst anzukämpfen. Social-Media-Plattformen ermöglichen keinen politischen Widerstand (mehr).
Elon Musk steht während der Amtseinführung Donald Trumps auf der Bühne, blickt in die Menge und reckt unvermittelt die rechte Hand in die Luft – den Hitlergruss macht er gleich zweimal, damit es auch wirklich alle sehen. Die Bilder von Musks Hitlergruss gingen daraufhin um die Welt. Jeder und jede konnte sich online darüber empören. Konsequenzen für Musk bleiben aus. Im Gegenteil, es ist der Motor für die Maschinerie, mit der die extreme Rechte zusammen mit Tech-Milliardären die demokratischen Strukturen demontieren.
Wieso hat Musk das getan? Nach seiner Geste waren wir tagelang in die Debatte gefesselt, ob das nun ein Hitlergruss war, oder nicht – ohne politischen Mehrwert. Es ist das perfekte Beispiel dafür, dass die wichtigste Währung im Schulterschluss von Tech-Bros und Populisten unsere Aufmerksamkeit ist.
Auch Donald Trump hat verstanden, dass Aufmerksamkeit wichtiger ist als alles andere, selbst auf Kosten von negativer Aufmerksamkeit. Und Social-Media-Plattformen wie Facebook, Twitter oder Instagram spielen ihm dabei in die Hände – denn die Algorithmen selektieren nach negativer Aufmerksamkeit. Social-Media-Plattformen haben die Maximierung der Nutzeraktivität als Ziel, um mehr Daten zu sammeln, mehr Werbung zu verkaufen und Investor:innen zu beeindrucken. Musk hat sich diese Tatsache noch extremer zu eigen gemacht, indem er Twitter gleich selbst gekauft hat und die Architektur für seine Zwecke optimiert hat.
Unsere Aufmerksamkeit ist nicht nur kapitalisierbar, es hält uns auch davon ab, grundsätzlich etwas gegen dieses Modell zu machen, Wandel voranzutreiben, eine bessere Zukunft zu denken.
«Tech-CEOs und autoritäre Politiker:innen verfolgen das gleiche Ziel: uns im ewigen Doom scrolling zu halten, anstatt uns gegen sie zu organisieren» Janus Rose, Journalistin und Künstlerin.1
Die erste Amtszeit Trumps war ein sichtbarer Erfolg dieser gezielten Strategie. Täglich machte er mit irrwitzigen bis faschistischen Lügen und Handlungen Schlagzeilen, die uns ständig dazu verleiteten, uns auf deren unfassbaren Schwachsinn einzulassen.
Wir können nicht gewinnen, wenn sie die Spielregeln schreiben
In meiner Schulzeit habe ich «Empört euch!» von Stéphane Hessel gelesen – ein Plädoyer für politischen Widerstand. So schien es auch sinnvoll, dass das Teilen von Empörung in den sozialen Medien ein gemeinsames Wissen schafft und das kollektive Verhalten in Bezug auf wichtige moralische Fragen organisiert. Trump bezeichnet Haiti und afrikanische Naitonen als «shithole counntries»? Das kann man ja nicht stehen lassen!
Doch aktuelle Forschung deutet darauf hin, dass Online-Empörung mehr Nachteile als Vorteile hat. Empörung auf Social Media verringert eher die Wirksamkeit kollektiven Handelns und schränkt die Beteiligung am öffentlichen Leben ein.2
Online-Empörung lenkt kollektives Handeln auf Themen, die zwar unmittelbar überzeugend, aber letztlich unwirksam oder kontraproduktiv sind. Die Architektur der sozialen Medien kann stattdessen die Schattenseiten der Empörung verstärken und die Wirksamkeit kollektiver Massnahmen, die auf sozialen Fortschritt und die Beteiligung von Randgruppen abzielen, einschränken. Die technischen Plattformen verleiten uns durch ihr Design dazu, zu posten, zu wüten und ins Leere zu doomscrollen, immer zu reagieren und nie zu agieren.
Als kürzlich Google Maps den «Gulf of Mexico» auf Trumps Wunsch (Befehl?) zu Gulf of America» unbenannte, gab es einen Sturm auf die Review-Funktion. Online organisierte man sich, um den «Golf von Amerika» auf Google Maps mit schlechten Rezensionen einzudecken. Google deaktivierte darauf die Review-Möglichkeit. Als Musk forderte, dass alle Bundesbedienstete bis zum Ende des Tages eine E-Mail über ihre erbrachten Leistungen schicken oder kündigen sollten, sahen sich auf der ganzen Welt Menschen dazu berufen, Musk mit ihrer Einkaufsliste oder detaillierten Nacherzählungen des täglichen Hundespaziergangs zu mailen. Ausser mehr Aufmerksamkeit für Musk hat das natürlich niemandem etwas gebracht. Das Geheimnis jedes Taschentrickdiebs ist die Irreführung. Während er die Aufmerksamkeit des Opfers auf die grossen Gesten lenkt, zieht er ihm heimlich das Portemonnaie aus der Tasche.
Ich bin inzwischen der Meinung, dass wir die Flut an Desinformation und Schrott nicht bekämpfen können. Wir können Big Tech, Trump, Musk und die extreme Rechte nicht in einem Spiel schlagen, wenn sie die Spielregeln selber setzen. Wenn wir uns über deren Verhalten online empören, die Absurdität ihrer Aussagen zu entlarven versuchen, die Lügen «debunken», erreichen wir damit leider nichts.
Social Media Posts sind kein politischer Aktivismus
Als ich in der Woche nach Trumps Wiederwahl endlos durch meine Feeds scrollte und mich all die Bilder und der kontinuierliche Schwall an Mist überwältigte, wurde mir klar, wir können uns politisch und gesellschaftlich nicht in eine bessere Zukunft posten. Daraufhin habe ich nach 14 Jahren (!) Instagram gelöscht.
Stéphane Hessel hat seine Aufforderung «Empört euch!» erweitert zu «Engagiert euch!». Und ich denke, damit hat er recht. Wenn wir Widerstand leisten wollen, dann müssen wir uns überlegen, durch welche Technologie und an welchen Orten wir das tun. Social Media scheinen nicht (mehr) geeigneten Orte dafür zu sein. Das ist also eine Aufforderung, uns weniger in Online-Aktionismus zu verzetteln. Stattdessen sollten wir uns vernetzen, engagieren und jene unterstützen, die tagtäglich Widerstand leisten.
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