Krisen, Umbrüche und Unsicherheiten prägen unsere Gegenwart und nähren die Vorstellung, dass Zukunft etwas ist, das über uns hereinbricht. Wir möchten dem etwas entgegensetzen. Und was, wenn nicht Improvisation, hilft uns, in dieser verrückten Welt den Kopf nicht zu verlieren?
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Ungefähr zur gleichen Zeit, als ich begann, mich intensiver mit der Frage zu beschäftigen, wie die Zukunft erforscht und verhandelt werden können, fand ich über Umwege zum Improtheater. Nicht mit der Absicht, selbst auf der Bühne zu stehen (was inzwischen dennoch passiert ist), sondern aus reiner Neugierde.
Je öfter ich spielte, desto grösser wurde meine Freude am Improvisieren. Von Beginn an war ich beeindruckt davon, wie in kleinsten Szenen innerhalb weniger Minuten ganze Welten entstehen, die sich durch kleine Impulse wieder in neue transformieren. Zunehmend begann mich nicht nur das Spiel, sondern auch die dahinterliegende Methodik und Haltung zu interessieren.
Die Kraft der Disruption
Vieles daran erinnerte mich an die systemische Arbeit mit Teams und Organisationen. Dort werden Impulse – oder Irritationen – gezielt eingesetzt, um Systeme in Bewegung zu bringen. Selten lässt sich antizipieren, was eine Irritation auslöst, und darin liegt die Kraft: in der Disruption, im bewussten Umgang mit dem Unvorhersehbaren, um das stetige Neu-Ausrichten auf Basis dessen, was da ist.
Denn sind wir ehrlich: Ist die Kontrolle, die wir zu haben glauben, nicht immer eine vermeintliche? Wir können uns auf Zukünftiges vorbereiten, sensibilisieren, Impulse setzen – doch vieles entzieht sich unserer Planung und kommt anders als erwartet.
Und darin liegt vor allem eine Chance. Wenn Zukunft nicht planbar ist, entsteht Gestaltungsraum. Zukünfte, im Plural. Handlungsfähigkeit zeigt sich dann nicht im Festhalten an Vorgefertigtem, sondern in der Fähigkeit, in Szenarien zu denken und nach Alternativen zu suchen. Zukunft ist kein Ziel, das erreicht werden muss, sondern ein Prozess, der aktiv mitgestaltet werden kann.
Wie erforschen wir, was es noch nicht gibt?
Beim Dezentrum suchen wir immer wieder nach Methoden, die Möglichkeitsräume öffnen und Menschen dazu einladen, sich aktiv mit Zukunftsszenarien auseinanderzusetzen. Wir arbeiten schon sehr lange mit der Szenario-Technik und spekulativem Design, beides Methoden, die es uns erlauben, wünschenswerte Zukünfte zu erforschen.
In der Arbeit mit diesen Methoden fiel mir auf, dass viele ähnliche Begriffe und Konzepte auftauchen wie beim Improvisieren: Es geht um mentale Flexibilität, darum, sich von fixen Vorstellungen und Denkmustern zu lösen, um Ambivalenzen, Ambiguität und Vertrauen, um Möglichkeitsräume und Szenarien, ums Kreieren von Narrativen und Welten. Wir müssen zuhören, uns anpassen und aufbauen auf dem, was da ist.
Je länger ich über Zukünfte nachdenke, desto bewusster wird mir, dass mir dieses Nachdenken oft im Weg steht. Improvisation erwies sich für mich als hilfreiche Methode, um daraus auszubrechen und Imaginationskraft zu entfalten. Vom Kopf in den Körper.
Moment.
Was, wenn ich damit nicht allein bin? Wenn Impro mir hilft bei Vorstellen und Verhandeln von Zukünften, könnte es auch anderen so gehen? Müsste man das nicht ausprobieren? Können wir mit Improvisation mehr Menschen Zugang zur Zukunft verschaffen? Was passiert, wenn wir gemeinsam Zukünfte spielen?
Nichts ist sicher. Alles ist spielbar.
So kam es, dass ich mich mit Niggi Hégelé von anundpfirsich darüber austauschte, Zukunftsdenken und Improvisation miteinander zu verbinden. Daraus entstand das Projekt «No Future? – Spiel mit der Zukunft».
Über mehrere Monate erprobten wir ein Veranstaltungsformat, mit dem Ziel, die Zukunft auf die Bühne zu bringen. Das Resultat sind öffentliche Veranstaltungen im Theater im Zollhaus, an denen professionelle Improspieler:innen «die Zukunft» verkörpern und Szenarien spielen. Das Publikum sowie eine Zukunftsforscherin interagieren mit den Spielenden und beeinflussen das Geschehen – Zukunft wird gestaltbar.
Die Veranstaltungen richten sich an eine breite kultur- und gesellschaftlich interessierte Öffentlichkeit: neugierige Erwachsene aller Altersgruppen, Bildungsakteur:innen, Kulturschaffende und Demokratieverfechter:innen. Über 200 Personen waren an den ersten beiden Ausgaben mit dabei.
Wir bauen das Angebot aus!
Nun möchten wir diese Erfahrung nutzen, um gezielter mit Unternehmen zu arbeiten. Denn in einer Zeit von technologischen Umbrüchen, demografischem Wandel und Klimakrise stellt sich die Frage: Wie bleiben Organisationen zukunfts- und handlungsfähig? Die Synergie von Futures Literacy und angewandter Improvisation bietet hier spannende Möglichkeiten für Unternehmen in einer sich rasant wandelnden Arbeitswelt.
Gemeinsam mit den Impro-Profis von anundpfirsich bauen wir 2026 unser Angebot aus: Neben den öffentlichen Abenden entstehen vertiefende Formate für Organisationen und Teams, in denen wir unsere bewährten Methoden wie die Szenario-Technik oder die Arbeit mit spekulativem Design mit Impro-Elementen kombinieren.
Das neue Format versteht sich als angewandte Futures Literacy für Entscheider:innen und Professionals: Die Teilnehmenden trainieren spontane Anpassungsfähigkeit und erhalten Impulse, wie Organisationen auch in unsicheren Kontexten wirksam bleiben und dem Wandel agil und kreativ begegnen können.
Dabei ist eines wichtig: Jede Methode hat ihre Grenzen. Gerade deshalb setzen wir auf eine Kombination aus strukturierten Ansätzen und offenem, improvisatorischem Arbeiten. Nicht um Komplexität zu reduzieren, sondern um mit ihr umzugehen.