Digitalisierung in Verwaltungen: Vom Problem zum Prototyp in 12 Wochen

Der Stadtrat von Zürich hat sich zum Ziel gesetzt, mit dem Programm Digi+ von OIZ und Smart City das Digitalisierungs-Niveau in der Verwaltung anzuheben. Gemeinsam mit dem Team der Stadt Zürich haben wir im Arbeitsintegrationsbetrieb Nähwerk ein Pilotprojekt durchgeführt, welches digitale Möglichkeiten nutzt, um die Mitarbeitenden im Alltag zu unterstützen.

Digitalisierung – aber nicht um der Digitalisierung willen

Die Digitalisierung hat in den verschiedenen Departementen und Dienstabteilungen sehr unterschiedliche Ausprägungen. Was aber überall gleich ist: Mehr Schub für die Digitalisierung ist eine Führungsaufgabe. Der Zürcher Stadtrat hat deshalb zusammen mit dem höchsten Kader der Stadtverwaltung den Digital-Pakt Zürich unterschrieben. Der Digital-Pakt fasst die Grundsätze zusammen, wie die Digitalisierung der Stadtverwaltung gestaltet und aktiv gefördert wird.

Stadt Zürich

Digi+: Eine Extraportion Digitalisierung für Zürich

Das Nähwerk ist ein Angebot der sozialen Einrichtungen und Betriebe der Stadt Zürich und bietet Plätze für verschiedene Zielgruppen der Arbeitsintegration an. Langzeiterwerbslose Erwachsene und Jugendliche ohne schulische Anschlusslösungen erlernen im Nähwerk neue Fähigkeiten und bereiten sich auf einen Neu- oder Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt vor.

Die Arbeitsagoginnen des Nähwerk sind dem Appell des Stadtrates gefolgt und haben sich bei Digi+ gemeldet. Sie sind der Ansicht, dass ihre vielen manuellen Abläufe durch digitale Unterstützung verbessert werden können. Soviel sei hier schon verraten, die erarbeitete Lösung kann dem Nähwerk voraussichtlich rund 175 Personen-Arbeitstage pro Jahr einsparen.

Wie kann eine nachhaltige und sinnvolle digitale Transformation in der Verwaltung der Stadt Zürich aussehen? Wir sind uns sicher, ein technologischer Fortschritt ist nur dann auch ein gesellschaftlicher Fortschritt, wenn die Menschen im Mittelpunkt stehen. Entsprechend war der erste Schritt in der Zusammenarbeit mit Digi+, nicht das gestellte Problem zu lösen, sondern zu analysieren, was die Ursache dessen ist und ob eine digitale Lösung überhaupt das richtige ist.

In zwölf Wochen vom Problem zum getesteten Prototypen

Nach dem Vorbild der Methode der Zukunftsexperimente haben wir uns an folgende Aufgabe gemacht

  1. herauszufinden, was das Problem ist,

  2. wie es gelöst werden könnte,

  3. Lösungsideen zu validieren,

  4. auf die erfolgversprechendste Idee zu konzentrieren

  5. die Idee zu prototypisieren und

  6. durch Iterationen zu perfektionieren.

Nicht wie, sondern was

Wir treffen in Projekten immer wieder an, dass Probleme zu wenig genau identifiziert wurden oder technologische Wünsche und Lösungsvorschläge bereits in Problemdefinitionen eingearbeitet sind. In unseren Experimenten starten wir deshalb so gut wie immer mit einem Loop in der Problemdefinition. Was genau ist das Problem und woher kommt es? Auf Basis des bereits komplette von Digi+ bereitgestellten Service Blueprint und Interviews mit Arbeitsagoginnen des Nähwerk konnten wir das Problem nochmals schärfen. Anschliessend haben wir durch sogenannte «How-Might-We» Fragen unsere Aufgabe definiert und durch Learnings in der Problemidentifikation Rahmenbedingungen geschaffen, nach welchen Ideen bewertet werden.

Es ist so wichtig, am Anfang eines Experimentes eine gute Problemdefinition zu haben. Ich bin mehr als zufrieden, wie konkret, klar und neutral das Problem herausgearbeitet wurde.

Zahida Huber

Projektleiterin Digi+ / Smart City Lab

Ideen kreieren, filtern, validieren und fokussieren

Im ersten Schritt haben wir gemeinsam mit Digi+ über 70 Ideen frei generiert und durch Skizzen einfach verständlich gemacht. Anschliessend haben wir sie anhand der Rahmenbedingungen aus der Problemdefinition gefiltert und zum ersten Mal bewertet. Wir haben Hypothesen zur Problemlösung für drei Ideen erstellt und sie mithilfe von Low-Fidelity-Prototypen mit Mitarbeitenden des Nähwerk validiert. Wir haben viele Entscheidungen innerhalb kurzer Zeit dezentral getroffen. Unser Tool Agree hat diese Entscheidungsfindungsprozesse vereinfacht, und alle Entscheidungen sind darüber jederzeit für alle einsehbar und dokumentiert. Basierend auf dieser Grundlage haben wir gemeinsam entschieden, welche Idee wir zu einem Prototyp weiterentwickeln wollen.

Ein Prototyp kann viele Formen annehmen: eine Website, eine App, neue Abläufe oder zum Beispiel auch Änderungen in Arbeitsumgebungen.

Prototypisieren, Ausprobieren, Iterieren und nochmals Iterieren

Im letzten Schritt wurde in diesem konkreten Projekt entschieden, eine App zu entwickeln. Was muss die App im Prototypenstatus können, was wäre nice to have und was ist unrealistisch? Wir haben User Stories verwendet, also "Als <Rolle> möchte ich <Ziel/Wunsch>, um <Nutzen>", um festzuhalten, welche Erwartungen die Anwender:innen an die App hatten. Basierend auf diesen User Stories haben wir erste Versionen des Prototyps umgesetzt. Schon im Jahr 2000, also noch vor dem ersten iPod oder Youtube, publizierte Jakob Nielsen, dass man nur fünf Tests braucht um 80% aller Fehler in einem Produkt zu erkennen.

Um an möglichst viele Erkenntnisse zu kommen, soll man besser drei Iterationen mit je fünf Personen testen, statt eine Iteration mit 15 Personen. Wir haben über zwei Wochen insgesamt vier Iterationen des Prototyps umgesetzt und getestet, um möglichst viele Erkenntnisse zu sammeln.

Abschliessend wurde mit den Projektstakeholdern geprüft, ob der finale Prototyp, das Problem und die How-Might-We Frage löst

Ich fand es sehr spannend in die Welt des Experimentierens und Ausprobieren rein zu sehen. Ich schätzte sehr, wie wir in die Prozesse eingebunden waren, mitentscheiden und mitwirken konnten. Das Resultat hat mich völlig überrascht und ich hoffe, wir setzen es bald um.

Gioia Sommerhalder

Arbeitsagogin Nähwerk

Experimentieren lohnt sich

Basierend auf den Erkenntnissen aus der Prototypen-Phase haben Digi+ und das Nähwerk eine Wirkungsabschätzung durchgeführt. Unter anderem wurde untersucht, in welchem Umfang der Prototyp das Problem des Nähwerk lösen konnte, wie viel Zeit dadurch eingespart wird in Zukunft und aber auch was die Entwicklung kosten würde. Durch die Umsetzung des Prototyps könnten sowohl die Fehlerreduktion als auch die Prozessvereinfachung dazu führen, dass rund 175 Personen-Arbeitstage eingespart werden. Zusätzlich würden die Mitarbeitenden im Nähwerk wertvolle digitale Kompetenzen erwerben, die ihnen persönlich und auf dem Arbeitsmark helfen. Dies könnte mit einer einmaligen Aufwendung von 57 Personen-Arbeitstagen realisiert werden. Bereits nach knapp drei Monaten wäre eine Einführung dementsprechend wirtschaftlich vorteilhaft.

Um etwas zu erfinden, muss man experimentieren, und wenn man im Voraus weiss, dass es funktionieren wird, ist es keines.

Jeff Bezoz

2015, Letter to Shareholders

Auch wenn wir mit vielem, was Jeff Bezos sagt und macht, nicht einverstanden sind, so stimmen wir ihm hier bei. Es ist eine Herausforderung, in ein Projekt einzusteigen, ohne zu wissen, was am Ende dabei herauskommt. Noch schwieriger kann es sein zu wissen, dass das Ergebnis möglicherweise nicht funktioniert. Doch nur weil ein Prototyp nicht zu dem gewünschten Resultat führt, heisst das noch lange nicht, dass man nichts gelernt hat – ganz im Gegenteil.

Das Experimentieren vor einer endgültigen Entscheidung kann eine Menge Geld sparen. Es kann Resultate inklusiver machen und auf Fehler aufmerksam machen, bevor man sie grossflächig begeht. Wir glauben daher, dass diese Ergebnisoffenheit zu viel wertvolleren und nachhaltigen Ergebnissen führt, als eine Entscheidung, welche auf dem Papier getroffen wurde.

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