Die interaktive Publikation «Proof of Culture» widmet sich dem Diskurs um NFTs im Kunstbereich. Sie bringt 14 Stimmen aus den Bereichen Kunst und Blockchain zusammen und ordnet diese ein. NFTs dienen an dieser Stelle beispielhaft den heftig geführten Diskussionen zur Beurteilung sogenannter «emerging technologies»: Neue Technologien, die versprechen, bestehende Verfahren wesentlich zu verbessern.
Zwischen Kunst und Spekulation
Digitale Kunst und Internetkultur lebten lange davon, dass Inhalte kopiert und vervielfältigt werden können. Als «Mix und Match»-Mentalität bezeichnete es eine Gesprächsteilnehmerin unserer Publikation «Proof of Culture», die wir im Auftrag von TA-SWISS im Projekt «Kultur und Digitalisierung» realisieren durften.
In dieser Mentalität liegt aber auch ein Problem: Wenn eine Künstlerin digitale Kunst verkaufen will, muss sie diese handelbar machen, also das Original weitergeben können. Lange wurde digitale Kunst darum als Print oder abgespeichert auf einem Stick verkauft.
Non-Fungible Tokens, kurz NFTs, versprachen eine Lösung auf dieses Problem und Veränderung in die Digitalkunst zu bringen, indem sie digitale Werke einzigartig und handelbar machen können.
Im Thema NFTs kommen Akteur:innen unterschiedlichster Hintergründe zusammen: Internetkultur und Digitalkunst treffen auf die klassische Kunstwelt und diese wiederum auf Blockchain und Krypto. Entsprechend aufgeladen sind die Diskussionen um die Einschätzung der Risiken und Chancen der Technologie: Für die einen sind NFT eine disruptive Zukunftstechnologie, die den Kunstmarkt demokratisieren, für andere ein undurchsichtiges Anlagevehikel für Krypto-Investor:innen.
Dieses Spannungsfeld untersuchten wir in unserer Publikation. Für die Darstellung verwenden wir eine immersive, nicht lineare und multimediale Form.
Die Themen der Publikation können im interaktiven Pixel-Raum entdeckt werden.
Eine kritische Analyse des Diskurses
Für die Publikation «Proof of Culture» haben wir mit 14 Personen aus der Kunst- und Blockchain-Szene gesprochen, um den Diskurs über Potenzial und Gefahren von NFTs abzubilden. Unsere Forschungsfrage lautete: Wie verändern NFTs die Beziehungen zwischen Werk, Kunstschaffenden und Empfänger:innen?
Um dieser Frage nachzugehen, verwendeten wir qualitative Methoden und einen explorativen Ansatz. Zunächst haben wir anhand einer Literatur-Review eine kritische Diskursanalyse betrieben. Das Ziel einer Diskursanalyse ist es, «sowohl undurchsichtige als auch transparente strukturelle Beziehungen von Dominanz, Diskriminierung, Macht und Kontrolle, wie sie sich in der Sprache manifestieren, zu analysieren» (Blommaert und Bulcaen. 2000).
Wir arbeiten mit semistrukturierten Interviews, Fokusgruppen und Fokusgesprächen und In-vivo-Coding für die Auswertung. Bei diesem, an die Grounded-Theory angelehnte Coding Prozess, werden die Aussagen selbst als Codes betrachtet und die Gespräche nach Relevanz der einzelnen Themen restrukturiert. Die Aussagen, bei denen sich die Teilnehmenden einig waren, haben wir als Hintergrundinformation in die Publikation eingearbeitet, während aus den kontroversen Themen sieben Themenfelder abgeleitet wurden.
Nähert man sich einem Thema, öffnet sich die Inhaltsseite.
Die Publikation als Online-Abenteuer
Digitale Publikationen eröffnen im Vergleich zu gedruckten Veröffentlichungen neue Möglichkeiten. Um einen Diskurs abzubilden und verschiedene Diskussionsstränge und Spannungsfelder zu verknüpfen, bietet es sich an, mit einem 2-dimensionalen Raum zu arbeiten. Für die Publikation von «Proof of Culture» wählten wir WorkAdventure, eine Plattform, die mit der Datenschutz-Grundverordnung der EU (GDPR) konform ist.
Die Gamification der Inhalte ist aus einer Vermittlungsperspektive sowie auch konzeptuell spannend. Zum einen gewöhnen wir uns immer mehr daran, Inhalte interaktiv zu konsumieren. Der Ansatz, eine gesamte Studie in dieser Form statt als Fliesstext darzustellen, ist eine experimentelle Form der Wissenschaftskommunikation und der Versuch, andere Zielgruppen zu erreichen.
Die interaktive Form der Publikation baut Berührungsängste ab – so würde sich auch meine Mutter mit NFTs beschäftigen.
Kulturschaffender, Mitglied der Begleitgruppe
Trifft man auf andere Besucher:innen, kann man sich austauschen – sofern man die Kamera freigegeben hat.
Zum anderen ist die Gaming- und Pixel-Ästhetik der NFT-Kultur sehr nahe. So sehen beispielsweise die CryptoPunks, eines der nach wie vor erfolgreichsten NFTs, dem Avatar von WorkAdventure sehr ähnlich. Damit können sich die Besucher:innen der Ästhetik und dem Inhalt auch durch das Medium annähern.
Die Publikation ist eine Einladung zum interaktiven Entdeckungsspaziergang. Mit einem eigens kreierten Pixel-Avatar können sich die Besuche:innen frei im Raum bewegen und in beliebiger Reihenfolge erkunden, was sie interessiert. Wer möchte, kann der Plattform Zugriff auf Kamera und Mikrofon gewähren, um sich mit anderen Personen auszutauschen.
Unsere Publikation ist eine von drei Teilstudien zum Thema «Kultur und Digitalisierung» die TA-SWISS in Auftrag gegeben hat. Auch die Studien der HSLU und des Musikrats durften wir in dieser immersiven Form aufbereiten.
Unser Expert:innen-Team liefert hochwertige Research- und Whitepapers, mit denen Organisationen ein Thema besser beleuchten und fundierte Entscheidungen treffen können.
Technisch gesehen ist ein NFT ein Echtheitszertifikat, das auf einer Blockchain gespeichert ist und verkauft sowie gehandelt werden kann. Das NFT stellt meist einen digitalen Vermögenswert wie ein Bild, ein Video oder eine Audiodatei dar, kann aber auch den Besitz eines physischen Artefakts angeben, zum Beispiel eines Sneakers.
(v. l. n. r.) CryptoPunks (2017), Dolce & Gabbana Kollektion (2021), Nyan Cat (2021), New York Times Artikel (2021), Nike Sneaker (2022), Jack Dorseys erster Tweet (2021), Kings of Leon Album (2021), Video der Sängerin Grimes (2021), Everydays von Beeple (2021).
Streng genommen meint der Begriff NFT nur das Echtheitszertifikat. Wenn wir in der Publikation aber den Begriff verwenden, meinen wir immer das Zertifikat mitsamt dem Vermögenswert. Ein paar Beispiele von Vermögenswerten, die mit einem NFT verknüpft sein könnten, sind Pixelcharaktere, Kleidungsstücke, Memes, News-Artikel usw.
NFTs und ihre Auswirkungen auf die Kunstwelt
Unsere Forschungsfrage war, wie NFTs die Beziehungen zwischen Werk, Kunstschaffenden und Empfängern verändern. Die wichtigsten Erkenntnisse:
Die Spannungsfelder unserer Publikation über NFTs.
Publikum – Werk
Die Beziehung zwischen Publikum und Werk wird durch NFTs vermehrt von Marktmechanismen geprägt. Die Handelbarkeit ist in die NFT-Technologie eingeschrieben und wird meist rein finanziell genutzt. Dadurch hat sich die Idee verstärkt, dass auch digitale Kunst sich verkaufen muss, um einen Wert zu haben.
Inzwischen sind auch klassische Kunstinstitutionen wie Auktionshäuser, Museen und Galerien in den NFT-Kosmos eingetreten. Dies ermöglicht eine vertiefte Auseinandersetzung mit NFTs im institutionellen Kunstdiskurs und eine Einordnung in die Kunstgeschichte.
Es gäbe die Möglichkeit, «gigantische Editionen [von NFTs] für kleine Preise» zu schaffen, sagt eine befragte Person. So können es sich mehr Menschen leisten, Kunst zu besitzen und am Kunsthandel teilzunehmen. Ob aber NFTs Kunst tatsächlich zugänglicher machen, wird wegen grosser technischer Einstiegshürden von vielen Gesprächspartner:innen infrage gestellt.
Publikum – Kunstschaffende
Die Technologie von NFTs birgt einiges an Innovationspotenzial. Durch ihre Programmierbarkeit können NFTs potenziell dynamische Objekte sein, die Spielraum für Interaktionen des Publikums mit dem Werk, der NFT-Community oder den Kunstschaffenden zulassen.
Mit NFTs entstand auch ein neues Ökosystem mit eigenen Akteurinnen und Regeln. Die grossen Verkaufsplattformen funktionieren nicht wie Galerien. Die Kunstschaffenden müssen tendenziell viel direkter mit Fans oder Kaufinteressenten in Kontakt treten, um auf sich aufmerksam zu machen. Digitale Kommunikationsplattformen wie Discord oder X (ehemals Twitter) spielen eine grosse Rolle im Austausch zwischen Kunstschaffenden und Publikum, wie auch in der Bewertung und Einordnung der Werke. Innerhalb des NFT-Kosmos gibt es zahlreiche Sub-Communitys, die teilweise sehr unterschiedliche Werte ins Zentrum stellen – von Gemeinschaft und gegenseitiger Unterstützung bis hin zu möglichst vielen und hochpreisigen Verkäufen von NFT-Werken.
Kunstschaffende – Werk
NFTs bieten aufgrund ihrer Programmierbarkeit die Möglichkeit, Regeln im Kunstwerk einzuschreiben. So kann beispielsweise festgelegt werden, dass die Kunstschaffenden bei jedem Wiederverkauf einen Prozentsatz des Verkaufspreises erhalten – sogenannte Royalties.
In diese «Smart Contracts» können aber auch andere Eigenschaften eingeschrieben werden: Einige Werke können sich beispielsweise nur für eine bestimmte Zeit im Besitz einer bestimmten Person befinden – wenn sie nach Ablauf dieser Zeit nicht weitergegeben werden, zerfallen die Werke. Besitz, also die zentrale Eigenschaft der NFT-Technologie, kann so durch eine künstlerische Praxis neu gedacht werden.
Der Umstand, dass auf der Blockchain nur geringe Datenmengen gespeichert werden können, wirkt sich auf die Ästhetik aus. Viele Kunstschaffende kopieren die Pixel-Ästhetik, auch wenn mit NFTs verknüpfte Bilder oft gar nicht direkt auf der Blockchain gespeichert werden.